Mittwoch, 25. April 2018

Ich hab schonmal einen Wikipediaartikel über Autismus gelesen, du kannst das gar nicht haben!

Eigentlich gehe ich recht offen damit um, dass ich Autistin bin. Die Reaktionen auf diese Selbstoffenbarung sind gemischt: Manche sind einfach neugierig und fragen nach, manche sind zunächst skeptisch, lassen sich danach aber belehren und manche glaubten mir einfach und wechseln danach das Thema. Alles Reaktionen, mit denen man irgendwie umgehen kann, doch die Reaktion, die ich heute bekam, war die Spitze der Uneinfühlsamkeit. Das Gespräch verlief folgendermaßen:

-"Ich hab Asperger."
-"Nein."

An diesem Punkt wurde ich schon leicht nervös. Wenn mir die Person wenigstens einen Grund für "Nein" gegeben hätte, dann hätte ich mich an dieser Stelle noch irgendwie erklären können, aber ein simples Nein ist einfach unangreifbar.

-"Ist das nicht eine Form von Autismus?"
-"Ja."

Man bemerke die Kürze meiner Antworten. Hier war ich mit den Nerven schon so fertig, dass es sich bereits auf meine Kommunikationsfähigkeit ausgewirkt hat. Durchaus bemerkt habe ich aber, dass die Frage den Gedanken suggerierte, dass "Autismus doch eine so schwere "Krankheit" sei, dass eine Studentin, die gerade mit anderen Menschen auf einer Wiese sitzt, das unmöglich haben könne".

-"Dann nenn mir doch mal deine Symptome." (Warum zur Hölle muss ich das jetzt beweisen??)
- *stotter* *vor Angstschweiß trief* "Ähhh... Mobbing zum Beispiel, meine Mitschüler fanden, ich sei komisch."
- "Also du wirkst jetzt nicht verrückter als jede andere leicht verrückte Person auch."
- "Das liegt an der Kompensation."
- "Ne, also auf mich wirkst du jetzt völlig normal, aber wenn dus unbedingt für deine Selbstrechtfertigung brauchst, deine Sache."

An diesem Punkt war ich dann kurz vor einem Heulkrampf und konnte überhaupt nicht mehr denken. Nur noch ein "lasst uns bitte das Thema wechseln" kam noch irgendwie raus, aber das einzige, was das noch brachte, war, mich vor der Peinlichkeit des Weinens vor anderen Menschen zu bewahren. Ich hätte dieser unempathischen Person eigentlich so viel sagen sollen! Ich hätte sagen sollen, dass es unhöflich ist, Leuten, die einem gerade etwas sehr persönliches anvertraut haben, zu widersprechen. Ich hätte sagen sollen, dass mein Diagnostiker aus der Spezialambulanz wohl wusste, was er tat, als er mir die Diagnose stellte. Ich hätte sagen sollen, dass sie sich ihren Bachelor in Psychologie in ein beliebiges Körperteil hätte stecken sollen. Aber nein, ich war wie gelähmt und das schlimme daran ist, dass meine Unfähigkeit, in dieser Situation zu kommunizieren, auch noch ein typisches Autismussymptom ist, das natürlich von keinem außer mir bemerkt wurde.

Warum sagen Menschen so etwas? Denken die wirklich, das würde einen irgendwie beruhigen? Danke, dass du mir endlich die Augen geöffnet hast, liebe Frau mit Laienwissen! Durch dich konnte ich erkennen, dass ich mir den Autismus nur einbilde, um mein nur leicht verkorkstes Leben vor mir selbst zu rechtfertigen. Dadurch, dass du, die du mich gerade erst seit zwei Stunden kennst, mir gesagt hast, ich wirke normal, kann ich endlich einsehen, dass ich eigentlich gar nicht am Asperger- sondern am Münchhausen-Syndrom leide! Ich möchte kotzen. 

Doch dass hier jemand ohne Ahnung vom Thema einfach irgendetwas behauptet, ist eigentlich gar nicht das schlimmste an der Sache. Also abgesehen davon, dass diese Person jetzt immernoch frei herumläuft, ohne aufgeklärt worden zu sein. Nein, das schlimme daran ist, dass man mit seinen Problemen nicht ernst genommen wird. Ich gehe ja auch nicht zu einer Person mit Diabetes oder Blinddarm und sage Nö, du lügst. Wärst du wirklich krank, würdest du ja bluten. Es verletzt, wenn man gerade all seinen Mut zusammen genommen hat und von etwas so persönlichem spricht und die andere Person dann gar nicht wahrnimmt, welche schmerzvolle Vergangenheit eigentlich dahintersteckt.

Das Problem ist natürlich, dass Autismus eine unsichtbare Behinderung darstellt. Hätten wir ein fehlendes Körperteil oder würden wir im Rollstuhl sitzen, wäre die Situation klar. Wenn überhaupt, kann man Autisten ihren Autismus nur anhand ihres Verhaltens ablesen. Doch dadurch, dass viele Autisten stark kompensieren, ist nicht einmal mehr das möglich. Das Kompensieren führt aber zu einem weiteren Grund, weshalb es verletzt, wenn man von einer anderen Person die Diagnose abgesprochen bekommt. Jahrelang habe ich mich selbst verleugnet, um nicht aufzufallen. Habe mich angepasst, um nicht abgelehnt zu werden und meine halbe Persönlichkeit eliminiert, damit endlich jemand mit mir befreundet sein möchte. Dann hat sich herausgestellt, dass dieser verleugnete Teil meiner Selbst den Namen Autismus trägt und der soll nun nicht existieren weil Miss Psychologiestudium* ihn nicht mehr sieht? Zufälligerweise mag ich meinen Autismus mittlerweile und möchte nicht, dass er verschwindet. Wenn jemand behauptet, er würde nicht existieren, macht mich das traurig, denn ich habe meinen Autismus gern. Verleugnest du meine Diagnose, so verleugnest du einen wichtigen Teil meiner Persönlichkeit.

Also bitte, liebe neurotypische Leser, sprecht niemals einer Person, die von sich sagt, sie sei Autist/in die Diagnose ab! Denn das ist nicht nur ganz schön unempathisch, es ist auch übergriffig, bagatellisierend und verletzend.


* Ja, nagut, ich bin ein bisschen neidisch auf sie, weil sie Psychologie studieren darf und ich nicht.

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